Meet me in Ireland – Kapitel 17

Orla stellte die Teetasse neben Ronan auf die Werkbank, während er aufräumte, was er selbst benutzt hatte. Sie liebte es, dass sie dieses kleine Ritual hatten. Jeden Abend, wenn die Jugendlichen schon fertig waren und sich an den Strand oder in den Ort verabschiedet hatten, räumten sie gemeinsam auf und tranken eine Tasse Tee zusammen.

Nicht mehr aus einer Tasse wie beim Sonnenaufgang vor zwei Wochen, aber es war trotzdem schön. Auch Ronan genoss es anscheinend, denn er hatte zwei Becher und einen Wasserkocher aus seiner eigenen Wohnung mitgebracht, damit sie hier zusammen Tee trinken konnten.

Dankbar lächelte er sie an und Orla dachte daran, wie oft sie dieses Lächeln in den letzten Wochen schon gesehen hatte. In allen möglichen Situationen: hier in der Werkstatt mit den Jugendlichen, wenn er seine Freunde traf, abends im Bett und vor allem immer wenn er sie sah. Dabei hatte sie am ersten Tag gedacht, dass er gar nicht lächeln konnte.

Aber etwas in Ronan hatte sich verändert und Orla war ein bisschen stolz, dass sie anscheinend dazu beigetragen hatte.

Wie immer stießen sie mit den Tassen an, obwohl nur Tee darin war und kein Alkohol. Es waren diese kleinen liebevollen Alltagsgesten, die ihre Beziehung mit ihm zu etwas Besonderem machten.

Orla trank einen Schluck von ihrem Tee und dachte über das Wort Beziehung nach. Obwohl sie noch nie darüber gesprochen und es explizit so benannt hatten, führten sie eine Beziehung. Sie waren ein Paar und mittlerweile hatten das auch die Jugendlichen mitbekommen. Zwar küssten sie sich nie vor ihnen, aber einmal hatten Aodhan und Nessa morgens schon Frühstück gemacht, als Ronan aus Orlas Zimmer gekommen war.

Die beiden hatten nur gegrinst, aber es nicht weiter kommentiert. So, als ob es selbstverständlich und nicht der Rede wert war.

„Möchtest du auch einen Tee?“, fragte Orla Diarmuid, der noch an seinem Kunstwerk arbeitete. Noch immer war er nicht zufrieden und war in den vergangenen Tagen sehr missmutig geworden.

Er schüttelte den Kopf. „Kein Bedarf.“

Orla überlegte, ob sie ihn fragen sollte, wie es mit dem Projekt voranging, aber sie verkniff sich die Frage, denn sie wusste, dass es ihn nerven würde. Ronan hatte ihr erst letzte Nacht versichert, dass es gut war, dass Diarmuid diesen Prozess durchlief. Irgendwann würde der Knoten platzen und der Junge wissen, wie das Stück aussehen musste.

Orla wünschte sich zwar, dass er dabei etwas besser gelaunt sein würde, aber sie konnte ja nicht von jedem erwarten, dass er ihre gute Stimmung teilte.

„Ich habe für heute Abend Shepherd’s Pie vorbereitet“, sagte sie und wandte sich wieder an Ronan. „Das ist das Rezept von Marion. Ich …“, doch weiter kam sie nicht, denn die Tür öffnete sich auf einmal und ein Windstoß fegte in die Werkstatt.

Im nächsten Moment stand Shane in der Tür. „Orla, mein Schatz!“, sagte er und breitete die Arme aus.

„Shane!“, rief sie überrascht und stellte ihren Tee weg. „Was machst du denn hier?“

Er hielt seine Hand hoch, an der nur noch ein Pflaster war. „Der Doc hat mir gesagt, dass ich wieder arbeiten darf und da ich keine Lust hatte, an meinem Schreibtisch den Papierkram zu machen, habe ich den Derek überlassen und bin gleich hergekommen. Freust du dich, mich zu sehen?“

Orla ging auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. „Das sind ja tolle Nachrichten.“ Sie war wirklich erleichtert, dass seine Hand so schnell wieder geheilt war.

Aber die Frage, ob sie sich freute ihn zu sehen, konnte sie nicht ehrlich beantworten, denn eine zähe Enttäuschung machte sich in ihr breit.

Sie warf Ronan einen Blick zu, der mit ausdrucksloser Miene an die Werkbank gelehnt stand. Ihm passte es gar nicht, dass Shane da war, das konnte Orla fühlen.

Shane nickte ihm zu. „Robin, richtig? Hi, wie geht es dir?“

Orla hatte keine Ahnung, ob Shane mit Absicht unhöflich sein wollte. „Sein Name ist Ronan.“

Das betretene Lächeln war echt. „Stimmt, Ronan. Sorry. Danke, dass du eingesprungen bist, Mann.“

„Kein Problem.“ Ronan schaute ihn weiter ausdruckslos an, dann wandte er sich wieder den Werkzeugen zu und begann sie zu sortieren.

Shane schaute Orla mit schiefgelegtem Kopf an. „Gut siehst du aus. Das Landleben bekommt dir.“

Orla fühlte, wie ihre Wangen warm wurden und sie wagte es nicht, Ronan anzublicken. Denn das war definitiv nicht das Landleben, was ihr so gut bekam, sondern Ronan war es, der sie so zum Leuchten brachte. Das hatte sie selbst schon festgestellt.

Sie schob die Hände in die hinteren Taschen ihrer Jeans und lächelte ihn an. „Deine Hand ist also geheilt und du arbeitest wieder.“ Es war einfach nur eine Feststellung, aber eigentlich war es eine Frage. Wollte er wieder ins Projekt einsteigen?

Shane schaute sie belustigt an, als ob er sie durchschaut hätte. „So ist es. Dann bring mich doch mal auf den neusten Stand, wie steht es mit den Projekten? Haben sie schon was erarbeitet?“

Orla zögerte und überlegte, ob sie Ronan dazu holen sollte, aber er wirkte so abweisend. Vielleicht war es besser, wenn sie Shane alles erklärte. „Das haben sie wirklich. Dort drüben stehen zwei der Stücke. Ein paar andere müssen noch lackiert werden und Diarmuid arbeitet noch an seinem.“

Shane ließ den Blick durch die Werkstatt schweifen. „Cool. Hallo Diarmuid. Alles klar?“

Der Junge schaute nur kurz auf und er nickte. Dann flackerte sein Blick zu Ronan und Orla sah den Unwillen darin.

Shane wandte sich wieder zu Orla um. „Ich habe gehört, dass in ein paar Tagen ein Kunstmarkt ist, wo unser Team ausstellt. Da komme ich ja gerade richtig und kann das mit vorbereiten.“

Orla schaute zu Ronan, der ihr aber den Rücken zuwandte. Trotzdem wusste sie, dass er genau zuhörte. „Wir haben alles super im Griff.“

„Ach komm, es gibt doch immer noch was in der letzten Minute zu tun. Dafür bin ich euer Mann.“ Er wandte sich um. „Und Ronan, du bist jetzt von deinen Betreuerpflichten erlöst. Ich übernehme im Haus wieder. Danke für deinen Einsatz.“

Orla wurde ein wenig übel. Sie wollte nicht, dass Shane in Ronans Zimmer einzog. Sie hatte die letzten Tage so verbringen wollen, wie es sich eingespielt hatte.

Ronan schaute nur kurz auf. „Alles klar“, sagte er und seine Stimme klang so neutral, wie Orla es noch nie gehört hatte. Aber sie konnte es ihm nicht verdenken, denn Shane machte sich hier gerade ziemlich breit.

„Wir können ja nachher nochmal darüber sprechen, wie wir das organisieren“, sagte sie deswegen schnell. „Die Jugendlichen haben sich gut an Ronan gewöhnt. Ich weiß nicht, ob es schlau wäre, den Ablauf zu stören.“

Shane schüttelte den Kopf. „Das kriegen die hin. Die sind viel flexibler als du denkst.“

Orla bemerkte, wie Diarmuid eine Grimasse zog und sofort wieder den Kopf über sein Kunstwerk senkte. Auch er hörte also genau zu.

Aber so schnell würde sie nicht aufgeben. 

„Shane, ich …“, doch er unterbrach sie.

Mit der gesunden Hand klopfte er ihr auf die Schulter. „Ich habe übrigens großartige Neuigkeiten für dich. Eigentlich wollte ich bis morgen früh warten, aber ich habe gerade erfahren, dass dann schon der Termin für den Call ist, deswegen sage ich es lieber jetzt gleich. Dann kannst du dich vorbereiten.“

Ein ungutes Gefühl beschlich Orla. „Worauf soll ich mich vorbereiten?“

Shanes Grinsen wurde breiter. „Auf den Job deines Lebens, Baby!“

„Ich verstehe nicht, was du meinst. Haben wir ein neues Projekt?“ Ein Projekt, dass sie aus Emerald Cliffs wegführen würde? Dieser Gedanke verursachte ihr regelrecht Bauchschmerzen und sie wollte nicht darüber nachdenken.

Shane schüttelte den Kopf. „Nein, ich fürchte die Projekte werde ich in Zukunft allein stemmen müssen. Denn du hast morgen ein Interview bei Next Phoenix.“

Orla runzelte die Stirn. „Dem Tech Start-up?“

Shane schaute gespielt empört. „Das ist kein Start-up mehr, sondern schon vor Monaten an die Börse gegangen. Die sind ein richtig großer Player jetzt und sie suchen jemanden jemanden für ihr neues Global Community Impact Team. Du kennst doch meine Ex-Frau. Sie leitet die Personalabteilung dort. Hättest mal ihr Gesicht sehen sollen, als ich ihr von dir erzählt habe. Amerikanisch-irische Doppelstaatsbürgerin? Perfekt. Design-Background und Erfahrung in einer großen Agentur? Perfekt. Soziale Projekte? Perfekt.” Shane holte sein Handy aus der Tasche und tippte aufs Display. “Sie will dich morgen per Video-Call kennenlernen. Aber ich habe dir schon gesagt, dass du die Richtige bist. Ich leite dir mal eben den Termin weiter.“

„Wie bitte?“ Orla war es, als ob ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. 

Shane grinste. „Du kannst gern danke sagen. Das Gehalt ist astronomisch, vor allem im Vergleich zu dem was du jetzt für die Projekte bekommst. Und du würdest zwischen Dublin, London und New York pendeln.”

Orla musste sich an der Werkbank festhalten. Sie schaute wieder zu Ronan. Er stand immer noch mit dem Rücken zu ihr, aber er hatte mitten in der Bewegung innegehalten. Den Hammer, den er gerade in seine Werkzeugtasche hatte stecken wollen, hielt er in der Luft. Er bewegte sich nicht.

„Jetzt komm schon, sag doch was. Ist das nicht großartig? So eine Chance gibt es nur einmal. Sarah sagte, dass sie schon seit Monaten suchen. Sie hat mir aber erst vor zwei Tagen davon erzählt, sonst hätte ich ihr schon vorher sagen können, dass ich genau die Richtige dafür kenne. Der Job ist so gut wie deiner.“

Orla wischte sich mit einer Hand über die Stirn, es fiel ihr schwer, klar zu denken. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Danke reicht für den Anfang und wenn du dann deine Firmenkreditkarte hast, kannst du mich ja mal zum Essen einladen.“ Shane grinste, als ob er gerade Weihnachtsmann spielen würde und sie nicht einfach in den Albtraum gestoßen hätte, eine solche Entscheidung zu fällen.

„Am besten nutzt du den Abend, um dich ein wenig vorzubereiten und dich über die Firma zu informieren. Ich weiß zwar, dass du das kannst, aber ich will ja nicht als Depp dastehen. Also, blamier mich nicht.“

Orla atmete tief durch. „Ich muss jetzt erst einmal Abendessen machen“, sagte sie.

Doch Shane winkte ab. „Das mache ich für dich. Du hast jetzt Wichtigeres zu tun.“

Ronan zog den Reißverschluss seiner Werkzeugtasche zu, dann drehte er sich um und ging zur Hintertür. „Wir sehen uns“, sagte er knapp.

„Ronan“, rief Orla und ging zu ihm. Er verharrte kurz in der Tür, doch er schaute sie nicht an.

„Ich muss los.“

„Wohin denn?“ Sie wollte so gern mit ihm darüber sprechen. Denn sie hatte keine Ahnung, wie sie diese Entscheidung treffen sollte.

„Habe noch zu tun.“ Er schluckte und schaute sie nun doch an. „Viel Erfolg.“

Dann öffnete er die Tür. Der Wind riss sie ihm fast aus der Hand. Eine Sturmböe stob in die Werkstatt. Sie zerrte an Orlas Haaren und riss einige von Ronans Zeichnungen in die Luft, sodass sie durch die Werkstatt wirbelten.

Als Ronan die Tür von außen schloss, segelten sie langsam zu Boden.

„Na, das war ja mal ein Abgang. Ist der immer so dramatisch?“, fragte Shane.

Orla schloss die Augen und atmete tief durch. Warum war sie von Ronans Verhalten so enttäuscht? Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte.

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4 Gedanken zu „Meet me in Ireland – Kapitel 17“

  1. Ursula Schrader

    Sturm-Chaos durch Shane, war ja zu erwarten, das der querschiesst. Hoffentlich kann sich Orla gegen ihn durchsetzen. Ich bin gespannt auf die nächsten Kapitel.

  2. Carmen Hempel

    Das musste ja so kommen….
    Oral wird hoffentlich die richtige Entscheidung treffen. Ich glaube nicht, dass die Jugendlichen Shane so einfach akzeptieren werden.
    Mal sehen, was weiter passiert.

  3. Immer wenn es spannend wird zwischen Orla und Shane muss was passieren. Hoffentlich geht es für die beiden gut aus. Kann es kaum erwarten auf die Fortsetzung

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