
Erstaunt betrachtete Ronan das Holz, das hier wurde viel besser, als er je angenommen hätte. Neben ihm stand Diarmuid, und er konnte die Spannung des Jungen fühlen, obwohl der nichts sagte. Und wie die meisten Jugendlichen tat er auch so, als ob es ihn alles nichts anging.
Ronan blendete die Geräusche der Werkstatt aus, das Scherzen der anderen Jugendlichen und Orlas Stimme vom anderen Ende des Raumes. Eine tiefe Zufriedenheit überkam ihn wie immer, wenn er sich mit Holz beschäftigte, und in letzter Zeit fühlte er genau diese Zufriedenheit auch dann, wenn er mit Orla zusammen war. Wenn sie im Bett neben ihm in seinen Armen lag, dann gab es sogar manchmal Momente, in denen er sich erlaubte, an die Zukunft zu denken.
Obwohl er bewusst nach Emerald Cliffs zurückgekommen war und mit den anderen das Craftsmen Quarter führte, so war er sich nie sicher, ob er bleiben wollte. Die Zukunft war immer diffus für ihn gewesen und er verdrängte es meistens, dass es sie gab. Denn in der Vergangenheit hatte sie nie etwas Gutes für ihn bereitgehalten.
Orla war unerwartet in sein Leben gekommen und doch schien es ihm, als ob sie immer gefehlt hatte.
Und auch wenn er sich manchmal erlaubte, an eine Zukunft zu denken, so kam sie darin nicht vor. Dieser Gedanke war zu gefährlich und würde ihn vermutlich nur verletzen.
Schon bald war das Projekt vorbei und Orla würde wieder abreisen. Bisher hatten sie noch nicht darüber gesprochen, was dann passieren würde.
Er hörte sie am anderen Ende des Raumes lachen und schaute kurz auf. Gott, sie war so schön und am liebsten hätte er sie in die Arme genommen. Aber das war erst wieder in der Nacht möglich.
Diarmuid bewegte sich unruhig und Ronan konzentrierte sich wieder auf seine Skulptur.
Ronan ließ die Hände über das Holz gleiten. Seine Finger tasteten die Rundung ab, die Diarmuid sorgfältig abgeschliffen hatte. Er fühlte die kleinen Ausbuchtungen und sah die Maserung des Holzes, die der Junge perfekt für seine Skulptur eingesetzt hatte. Das Holz fühlte sich warm und lebendig an. Diarmuid hatte wirklich Talent.
Schließlich hielt der Junge es doch nicht mehr aus. „Ist es gut?”, fragte er.
Ronan lächelte und beendete die Untersuchung der Skulptur. Er wandte sich ihm zu. „Findest du sie denn gut?”
Diarmuid verdrehte genervt die Augen. „Sag mir einfach, ob sie gut ist oder nicht.”
„Nein, im Ernst”, sagte Ronan ruhig. „Findest du sie gut?”
Diarmuid hob die Schultern, dann schüttelte er den Kopf.
Ruhig schaute Ronan ihn an. „Was magst du daran nicht?” Er hatte schon gemerkt, dass der Junge unzufrieden war und er hatte eine Ahnung warum. Doch er wollte, dass Diarmuid es selbst herausfand, denn er war der Künstler und kein anderer konnte ihm bei der Wahrheitsfindung helfen.
Der Junge überlegte eine Weile. „Es fehlt noch irgendetwas.”
Ronan betrachtete die Skulptur. „Was genau meinst du?”
Beinahe trotzig hob Diarmuid die Schultern. „Die Sachen der andern haben alle einen Nutzen, nur meins nicht. Vielleicht hätte ich doch lieber ein Schränkchen bauen sollen.”
Ronan musste ein Lächeln unterdrücken. Das war nicht die wirkliche Antwort und das wussten sie beide. Diarmuid wollte sich nicht mit seinen Gefühlen auseinandersetzen. Ja, er wollte nicht einmal zugeben, dass seine Gefühle in dieser Skulptur steckten. „Warum denkst du das?“, fragte er den Jungen.
Diarmuid seufzte. „Beantworte doch nicht jede Frage mit einer Gegenfrage.”
Also hatte der Junge seine Strategie durchschaut. Er war schlau, aber das hatte Ronan schon von Anfang an gewusst.
„Pass auf”, sagte Ronan, „ich sag dir was. Skulpturen haben auch einen Nutzen, einen viel größeren manchmal noch als Möbelstücke.”
„Und welchen?”, fragte Diarmuid. Er schaute zu den anderen Jugendlichen hinüber, und Ronan ahnte, dass Benny ihn vermutlich damit aufgezogen hatte, dass er etwas so Nutzloses machte, oder gefragt hatte, was die Skulptur darstellen sollte. Das waren immer die bescheuertsten Fragen, vor allem in diesem Alter.
„Sie erfreuen den Betrachter. Sie geben ihm etwas zum Nachdenken. Sie zeigen, dass manchmal in Dingen so viel mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Und nicht jeder ist in der Lage, aus Holz genau das herauszuholen. Nicht jeder kann die versteckten Botschaften, die Schönheit, die da drin liegt, zum Vorschein kommen zu lassen. Aber du kannst es.”
Diarmuid runzelte die Stirn. Er schwieg, und Ronan wusste, dass er vermutlich noch nie ein solches Kompliment bekommen hatte und das erst einmal verarbeiten musste.
Aber er erwartete auch gar keine Antwort. Er kannte das nur zu gut, wenn Old Mike oder Patrick ihn gelobt hatten, dann war es ihm auch unangenehm gewesen, denn von seinen Eltern hatte er nie Lob bekommen, ganz im Gegenteil, er hatte eher immer nur Ärger bekommen. Komplimente waren ungewohnt und verwirrend. Manchmal taten sie sogar weh. Deswegen würde er Diarmuid die Zeit geben, die er brauchte, um es zu verarbeiten.
„Trotzdem fehlt noch was”, sagte der Junge jetzt.
Ronan nickte anerkennend. Es war eine Leistung, sich einzugestehen, dass noch etwas fehlte, bei dem, was man erschaffen hatte.
Und Diarmuid hatte recht, es fehlte wirklich noch was, auch wenn Ronan nicht genau sagen konnte, was es war. Das konnte vermutlich nur Diarmuid selbst und möglicherweise auch noch nicht jetzt.
„Ich weiß, was du meinst“, sagte er trotzdem.
„Und was fehlt?”, fragte Diarmuid und klang genervt.
„Das weiß ich nicht”, erklärte Ronan.
Wieder verdrehte Diarmuid die Augen. „Sag es mir doch einfach, dann kann ich es anbauen und bin fertig.”
„Das hier ist kein Test”, erklärte Ronan ruhig. „Ich weiß wirklich nicht, was noch fehlt. Aber wie wäre es, wenn du zum Strand gehst und nach einem Stück Treibholz suchst, was passen würde?”
Diarmuid verzog das Gesicht. „Das ist doch alles nass. Bis ich das verarbeiten kann, dauert es eine Ewigkeit und bis dahin sind wir schon wieder weg.”
Damit hatte der Junge durchaus recht.
„Wie wäre es, wenn du dich in meinem Treibholzstapel umschaust?”, sagte plötzlich eine tiefe Stimme von der Tür her.
Erstaunt drehte Ronan sich um. Mit Mike hatte er am wenigsten hier gerechnet, aber der alte Mann stand in der Tür, auf seinen Gehstock gestützt, das zerfurchte Gesicht verschlossen wie immer, aber die hellen Augen aufmerksam auf sie gerichtet.
Die Luft schien elektrisch geladen von seiner Präsenz.
Ronan wusste, dass Mike in Diarmuid etwas sehen konnte, was sonst niemand sah, denn Mike hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt, welche Jungen etwas Besonderes waren.
Diarmuid, der Mike noch nicht kannte, blieb verschlossen. Er sagte kein Wort, sondern schaute Ronan nur abwartend an.
„Das ist eine hervorragende Idee”, sagte Ronan. „Diarmuid, darf ich vorstellen, das ist Old Mike. Er hat mir schon beigebracht, wie man Werkzeuge benutzt, und den anderen auch.”
„Welchen andern?”, fragte Diarmuid und klang nicht sehr begeistert.
„Meinen Freunden. Liam, er ist der Schmied. Finn unser Bootsbauer, dann Brendan, der Bildhauer ist, und Connor, dem die Whisky-Destillerie im Ort gehört.”
„Ach, die”, sagte Diarmuid gelangweilt, aber wie immer, wenn Ronan die anderen Handwerker erwähnte, glomm Interesse in seinen Augen auf. Ein kleiner Funke Hoffnung.
Hinter Mike sah Ronan eine Bewegung. Liam stand im Hof neben seinem Wagen und hob die Hand. Ronan nickte ihm zu. Ein stummer Dank, dass er Mike gefahren hatte.
Sein alter Mentor kam in die Werkstatt und sein Blick wanderte über die Jugendlichen. Ronan fand es immer schwer, den Ausdruck des alten Mannes zu lesen, aber er meinte Wohlwollen in dessen Blick zu sehen.
Schließlich blieb sein Blick an Ronan hängen und die Falten an seinen Augen vertieften sich ein wenig. „Sieht gut aus, Junge.“
„Danke“, sagte Ronan leise.
Mike klopfte ihm auf die Schulter und trat zu Diarmuids Stück. Er betrachtete es nur, dann schaute er den Jungen an. „Darf ich es ausspannen?“
Diarmuid hob die Schultern. „Klar.“
„Mach du es für mich. Meine Hände schmerzen heute besonders.“ Er blickte Ronan an. „Wir bekommen Sturm.“
Ronan kannte das noch von früher. Wenn Mike das Wetter in seinen Knochen spürte, dann hatte er immer recht. „Zum Fest?“, fragte er.
„Vorher. Wird schlimm.“
Ronan verschränkte die Arme und er schaute sich um. Jeder, der an der Westküste Irlands aufgewachsen war, kannte Sturm und wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Trotzdem wusste man nie, was ein Sturm brachte. Immer wieder gab es Unglücke, die keiner vorhersehen konnte. Und wenn Mike sagte, dass es schlimm werden würde, dann war es auch so.
Diarmuid hatte sein Kunstwerk aus dem Schraubstock genommen und hielt es unschlüssig in der Hand.
Old Mike streckte die Hand danach aus und Ronan sah, dass er die Lippen kurz zusammenpresste. Vermutlich hatte er starke Schmerzen. Wie immer wünschte er sich, dass er mehr tun könnte. Aber er besorgte schon die besten Medikamente, die er bekommen konnte, und hatte ein paar Zusatzversicherungen für Mike abgeschlossen, damit er sich bessere Ärzte leisten konnte. Zu denen er nicht ging, da er der Meinung war, dass dies nun einmal der Lauf der Natur war.
Aber zumindest konnten er und die anderen ihm zuhause helfen. Oder irgendwo hinfahren, so wie Liam es heute getan hatte.
Mike nahm das Stück in die Hand und betastete es, so wie Ronan es kurz zuvor getan hatte. Er seufzte leise, nickte zufrieden und gab es Diarmuid dann zurück. Obwohl er nichts sagte, wusste Ronan, dass er beeindruckt war.
Er hatte Mike früher so oft Werkstücke begutachten sehen. Dies hier gefiel ihm. Doch das würde er nicht sagen.
Er klopfte Diarmuid auf die Schulter und wandte sich ab. „Das Treibholz bei meinem Cottage ist trocken und wartet auf dich.“ Dann ging er weiter zum nächsten Stück.
Aodhan stand aufrecht und war ganz still, als Mike sein Stück begutachtete. Diese Wirkung hatte der alte Mann und selbst die Jungen spürten es.
Diarmuid schaute Ronan fragend an. „Er denkt also auch, dass etwas fehlt.“
„Sieht so aus.“
„Kann ich jetzt gleich gehen?“, fragte der Junge.
Das überraschte Ronan nicht. Diarmuid war immer ungeduldig. Also nickte er. „Liam ist draußen. Er kann dir den Weg beschreiben.“
Diarmuid verschwand aus der Werkstatt.
Orla trat neben Ronan. „Er ist dein alter Mentor, nicht wahr?“
Er nickte.
Sie schaute ihn von der Seite an. „Ein faszinierender Mann.“
„Das ist er.“
Sie sprachen ganz leise und er genoss es, dass sie so vertraut miteinander waren.
Als Mike seine Runde beendet hatte, kam er zu Ronan zurück. Liam war in die Werkstatt getreten und schaute sich ebenfalls um. Die Jugendlichen standen immer noch ganz still neben ihren Arbeitsplätzen.
Mikes helle blaue Augen ruhten auf Orla. „Gute Arbeit“, sagte er nur.
„Die Jugendlichen haben viel gelernt“, erwiderte sie.
Mikes Mundwinkel zuckte. „Das kann ich sehen.“
Dann nickte er Ronan zu. „Bring das Mädchen am Sonntag mit.“
Sprachlos starrte er ihn an. Mike wollte, dass er Orla mit zu Sonntagstee brachte? So etwas war noch nie vorgekommen.
Bevor er etwas sagen konnte, war Mike schon wieder aus der Werkstatt gehumpelt.
Ronan tauschte einen Blick mit Liam. Der hatte ebenfalls die Augenbrauen gehoben, aber dann grinste er. „Ich würde mal sagen, Test bestanden“, sagte er und verschwand auch nach draußen.
Orla blickte Ronan an. „Damit meinte er, dass Mike die Arbeiten gut genug für den Kunstmarkt fand, oder?“ Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Irgendwie fühlt sich das an wie ein Ritterschlag.“
Ronan schluckte und nickte. Doch er war sich sicher, dass Liam etwas anderes gemeint hatte. Und zwar die Einladung von Mike an Orla zum Sonntagstee. Warum hatte der alte Mann das getan? So etwas hatte bei ihm immer eine Bedeutung.
Liam hatte recht. Orla hatte gerade einen Test bestanden. Die Frage war nur welchen?
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Hach wie schön…
Diarmuid beeindruckt die Experten, obwohl seinem Kunstwerk noch was fehlt u Old Mike erteilt Ritterschlag um Ritterschlag, ich fühle trotz der Ruhe und Harmonie den Sturm aufkommen…