Meet me in Ireland – Kapitel 14

Orla erwachte im Morgengrauen. Sie schlug die Augen auf und sah, wie graues Licht sich langsam im Zimmer ausbreitete. Wie zartes Silber floss es über die Wände. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. 

Orla war erst spät eingeschlafen, nachdem Ronan mit Benny und Diarmuid zurückgekommen war. Die beiden Jungs waren dann aber entspannt gewesen und hatten sich sogar eine gute Nacht gewünscht. Ronan war gleich ins Bett gegangen, aber er schien zufrieden. 

Sie hatte noch eine ganze Weile wach gelegen und darüber nachgedacht, wie gut es war, dass sie ausgerechnet ihn am ersten Tag am Strand getroffen hatte. 

Immer wenn sie an ihn dachte, merkte sie, dass sie Gefühle für ihn entwickelte, die immer stärker wurden. Sie konnte sich überhaupt nicht dagegen wehren. Es war wie eine Flut, die sich unaufhaltsam an die Küste schob. 

Aber auf der anderen Seite war es auch ein Problem. Sie konnte keine Gefühle für ihn entwickeln, denn bald würde sie wieder abreisen, und Dublin war zu weit von Emerald Cliffs entfernt, zumindest für eine Beziehung. 

Draußen vor der Tür hörte sie Geräusche, ganz leise nur, aber sie wusste sofort, dass Ronan aufgestanden war. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Atemlos lauschte sie und fragte sich, ob sie auch aufstehen sollte. Doch dann hörte sie die Haustür klicken, und sie wusste, dass er nicht mehr da war. Sie seufzte und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Sie benahm sich wie ein verliebter Teenager.

Eine Weile blieb sie noch liegen, lauschte dem Zwitschern der Vögel, die den Morgen begrüßten, und versuchte nicht darüber nachzudenken, wo Ronan wohl hingegangen war. 

Manchmal fragte sie sich, ob es möglicherweise eine Frau in seinem Leben gab. Er hatte noch nie jemanden erwähnt, und vermutlich hätte Orla es mitbekommen, denn auch einer seiner Freunde hätte dann bestimmt mal eine Bemerkung gemacht. Aber immer wenn sie Liam, Finn, Connor oder Brendan traf, dann machten die immer nur Bemerkungen bezüglich Ronan und Orla. Es war, als ob die vier nur darauf warteten, dass aus ihnen ein Paar wurde.

Orla dachte daran, dass sie Liam und Marion noch versprochen hatte, ihnen ein paar Designideen zu schicken. Beide waren unabhängig voneinander an sie herangetreten und hatten sie um Hilfe gebeten. Begeistert hatte Orla zugesagt, denn sie liebte es, wenn sie in dem Bereich helfen konnte. Da fühlte sie sich kompetent.

Zu gern hätte sie auch Ronan geholfen, seine Marke grafisch noch besser dazustellen. Aber ihr war klar geworden, dass er das gar nicht brauchte. Die Kunden kamen auch so zu ihm. Anscheinend sprach sich seine ausgezeichnete Arbeit rum und Orla ahnte, dass dies noch mehr werden würde, wenn Ronan eine Website und ein vernünftiges Branding hätte. Dabei hatte er ihr erzählt, dass er sehr zufrieden mit seiner Auftragslage war und gar nicht mehr arbeiten wollte, da er sonst nicht mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben hatte.

Vermutlich meinte er damit auch seine Besuche bei Brand am Strand. Doch Ronan verschwand auch sonst immer mal kurz und obwohl er ihr bescheid sagte, wenn er ging, so verriet er ihr nie, wohin.

Allerdings ging sie das ja auch nichts an. Und vielleicht war er auch einfach jemand, der ab und zu Zeit für sich allein brauchte.

Irgendwann merkte Orla, dass sie nicht mehr einschlafen konnte, und stand auf. Vielleicht konnte sie noch ein paar Entwürfe für Liam anfertigen bevor Ronan zurückkam. 

Der Himmel färbte sich langsam orange, und Orla lächelte. Seit sie hier in Emerald Cliffs war, stand sie deutlich früher auf. In Dublin konnte sie manchmal bis in den späten Vormittag hinein schlafen, wenn sie nicht arbeiten musste. 

Doch hier war es ganz natürlich, früh aufzustehen, einfach weil die Natur so präsent war und sie mehr im Einklang mit ihr lebte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie abends früh ins Bett ging, weil es nicht viel zu tun gab. Doch sie vermisste das Nachtleben in Dublin überhaupt nicht.

Dort ging sie öfter mal aus abends, aber das war nur, weil sie nicht allein in ihrer Wohnung sitzen wollte, die so still war. Sie versuchte, sich mit Menschen zu umgeben. Das klappte auch, aber es waren nie echte Begegnungen. Hier in Emerald Cliffs war das anders. 

Wenn sie sich mit Marion unterhielt, dann strahlte die eine unglaubliche Herzlichkeit aus. Oder wenn sie in einen kleinen Laden ging und etwas kaufte oder einfach nur schaute, dann endete das immer in einem Gespräch, das mit dem Wetter begann, aber dann sehr schnell viel tiefer wurde. Und sie hatte das Gefühl, dass die Menschen hier mehr über sie wussten als die meisten ihrer vermeintlichen Freunde in Dublin, mit denen sie abends was trinken ging. Es war ein schönes Gefühl, gekannt zu werden und einen Platz in der Gemeinschaft zu haben.

Orla kochte sich einen Tee und dachte mal wieder über Ronan nach. Sie spürte, dass sie unbedingt noch einmal in seine Werkstatt im Craftsmen Quarter gehen wollte. 

Zu gern wollte sie auch die anderen Werkstätten dort besichtigen. Es war faszinierend, dass die fünf Männer alle unterschiedliche Handwerksberufe ausübten und sie gemeinsam in diesem alten Haus am Hafen arbeiteten. So etwas Besonderes hatte sie noch nie irgendwo gesehen.  

Es war ein wunderbarer Ort, so ruhig und kraftvoll und irgendwie auch so männlich. Die Fünf waren immer füreinander da, und obwohl die meisten von ihnen eher ruhig und zurückhaltend waren, machten sie ständig Scherze miteinander. Oft machten sie sich auf eine freundschaftliche Art und Weise übereinander lustig, aber es fühlte sich alles echt an und so vertraut. Ihr fiel das Wort liebevoll ein, aber vermutlich wären die Männer entsetzt, wenn Orla ihren Umgang miteinander so beschreiben würde. Sie waren definitiv eine eingeschworene Gemeinschaft und immer füreinander da.

Orla liebte es zu sehen, wenn Ronan auf Liam oder Finn traf. Dann war es, als würde er noch mehr zur Ruhe kommen. Mit Brendan und Connor hingegen lachte er mehr und schien sich zu entspannen. Wie schön musste es sein, eine solche Gruppe von Freunden um sich zu haben, bei denen man sich so wohlfühlte.

Sie nahm ihren Tee und wollte sich gerade an den Ronans Tisch setzen, als ihr einfiel, dass sie Lust hatte, den Sonnenaufgang zu betrachten. Das hatte sie noch nie getan, denn obwohl sie hier früher aufstand, war sie noch nie vor dem Sonnenaufgang aufgestanden. Was für eine einmalige Gelegenheit! Und heute regnete es ausnahmsweise nicht. Nur ein leichter Wind wehte vom Meer her, aber es waren kaum Wolken am Himmel.

Sie nahm eine Decke vom Sofa, schlüpfte in ihre Sandalen und ging mit ihrem Tee raus auf die Terrasse. Sofort atmete sie tief ein. Die Meeresluft füllte ihre Lungen mit salziger Frische. Die Möwen schrien, und im Gebüsch sang ein kleiner Vogel. Es war herrlich, fast wie das Paradies. Sie setzte sich auf einen Stuhl, schlang die Decke um ihre Schultern und lehnte den Kopf an die weiße Mauer des Hauses.

Ein Gedanke durchzuckte sie: Wenn sie das doch immer haben könnte! Erstaunt folgte sie diesem Gedanken. Es wäre wirklich schön, das für immer zu haben, jeden Tag so aufzustehen. 

Doch dann schüttelte sie den Kopf. So etwas konnte man nicht jeden Tag haben, denn an vielen Tagen regnete es auch morgens, oder es war so bewölkt, dass man die Sonne nicht sehen konnte. Aber trotzdem, sie mochte dieses ruhige Leben. Es war so anders als New York, wo alles immer hektisch und schnell war und anonym.

Als sie noch jünger war, hatte sie das genossen. Doch jetzt zog sie überhaupt nichts mehr dorthin zurück. Und obwohl Dublin deutlich kleiner und anders war als New York und einen ganz anderen Charme ausstrahlte, so war es doch eine Großstadt und nicht zu vergleichen mit dem beschaulichen Emerald Cliffs. Zu Beginn hatte sie gedacht, dass ihr hier vielleicht langweilig werden würde. Aber das war überhaupt nicht so. Es war, als ob sie sich auf eine Schwingung mit diesem Ort begeben hätte und mit den Menschen. Ja, sie war definitiv mit ihnen im Einklang.

Orla hob ihre Teetasse an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Selbst der Tee schien hier besser zu schmecken. Sie lächelte und fragte sich, ob sie sich möglicherweise in den Ort verliebt hatte, mit den kleinen Straßen, die mit Kopfsteinpflaster gepflastert waren, den süßen Häusern, windschief, dicht aneinandergedrängt und so bunt, die Rosen in den Gärten, der Strand, die Klippen und das Meer, das ständig präsent war und das Leben der Menschen hier prägte. 

Ja, das fühlte sich tatsächlich an wie Verliebtsein. Aber Orla merkte auch, dass es vor allem die Menschen waren, in die sie sich verliebt hatte und die den Charme dieses Ortes ausmachten. Und irgendwie machte sie das zufrieden. Sie genoss es, verliebt zu sein. Das hatte sie schon immer gemocht.

Plötzlich hörte sie Schritte. Während ihr das in der Großstadt unheimlich gewesen wäre, Schritte zu hören, wenn sie ganz allein irgendwo saß, war sie hier einfach nur neugierig, wer da kam. Sie hatte überhaupt keine Angst und fühlte sich vollkommen sicher. 

Es war Ronan, der auf dem kleinen Weg auftauchte, der vom Strand hinaufführte. Seine Haare waren vom Wind zerzaust, und er wirkte vollkommen zufrieden. Die Morgenluft hatte seine Wangen gerötet. Noch hatte er sie nicht bemerkt, und Orla genoss es, ihm einfach nur zuzuschauen, während er den Weg hochkam.

Auf einmal schaute er auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Ein Kribbeln durchfuhr Orlas ganzen Körper, und in diesem Moment wusste sie, dass sie sich tatsächlich in eine ganz bestimmte Person hier in Emerald Cliffs verliebt hatte. 

Auch er lächelte, wenn auch nur kurz. Aber es war ein echtes Lächeln. So gut kannte sie ihn mittlerweile schon. Er trat durch das Tor und kam auf die Terrasse.

„Guten Morgen”, sagte er. „Wie schön, dass du schon wach bist.”

Orla nickte. „Irgendwie kann ich hier viel früher aufstehen als in Dublin. Und ich finde es faszinierend, wie anders die Welt so früh am Morgen ist.“

Er setzte sich auf den Stuhl neben sie und sie genoss es, dass er das mit einer solchen Selbstverständlichkeit tat, als ob sie schon tausend Mal hier zusammen gesessen hatten.

„Möchtest du auch einen Tee?“, fragte sie und hob das Kännchen. „Es ist noch genug da.”

„Gern”, sagte er, und zu ihrer Überraschung nahm er ihre Tasse und trank daraus. Bei jedem anderen hätte sie es unverschämt gefunden, aber bei Ronan fühlte es sich fast an wie ein Ritterschlag. Es hatte etwas Intimes und Vertrautes, etwas, das man sonst nur mit seinem Partner machen würde. Wärme breitete sich in ihrem ganzen Körper aus.

Ronan reichte ihr die Tasse, und Orla trank ebenfalls einen Schluck. Ihre Lippen berührten die Stelle, wo seine gewesen waren und sie freute sich darüber. Ja, definitiv verliebter Teenager.

„Warst du bei Bran?”, fragte sie.

„Ja. Wenn ich gewusst hätte, dass du wach bist, hätte ich dich mitgenommen.”

Orlas Atem stockte. Noch mehr Vertrautheit.

„Das wär schön”, sagte sie leise.

Natürlich wussten sie beide, dass das nicht möglich war. Sie konnten nicht beide gleichzeitig am frühen Morgen vom Haus weggehen und die Jugendlichen allein lassen.

Eine Weile saßen sie schweigend und beobachteten, wie die Sonne langsam über dem Wasser aufstieg. Erst war nur ein oranger Schimmer zu sehen und dann immer mehr. Das Meer verwandelte sich in flüssiges Gold.

„Du bist oft schon im Morgengrauen wach”, sagte Orla und es war mehr eine Feststellung, denn er kam meistens gerade von irgendwo zurück, wenn sie gerade aufgestanden war.

Er hob die Schultern. „Ich schlafe nicht viel. Das war schon immer so.”

Orla schwieg, weil sie fühlte, dass er noch mehr sagen wollte.

„Als Kind war ich immer in Alarmbereitschaft”, sagte er. „Ich glaube, das hat sich in meinem Körper festgesetzt.“

Orla trank noch einen Schluck vom Tee und hielt ihm dann die Tasse hin. Er nahm sie an, und dabei berührten sich ihre Finger kurz. Elektrische Funken schienen zwischen ihnen zu springen.

„Warum ist das so?“, fragte Orla. Sie war sich nicht sicher, ob er auf die Frage antworten würde, aber sie waren einander so nahe, dass sie das Gefühl hatte, dass sie das fragen durfte.

Es dauerte einen Moment bis er antwortete. „Mein Vater und meine Mutter haben sich nicht sehr gut verstanden. Es gab ständig Streit. Mein Vater wurde dann unberechenbar. Ich hatte das Gefühl, ich musste immer auf der Hut sein, immer wach, um meine Mutter notfalls zu beschützen.”

Er trank einen Schluck und schaute aufs Meer. Er erzählte das so entspannt, als ob er ihr davon berichten würde, was er mit dem Otter am Strand erlebt hatte.

Doch Orla kannte das von sich selbst. Die schwierige Zeit ihrer Kindheit und Jugend kam ihr manchmal vor, wie ein Film, den sie gesehen hatte. Nicht so, als ob es ihr selbst passiert wäre.

Ronan reichte ihr die Tasse wieder, schaute sie aber nicht an. Vorsichtig nahm Orla sie entgegen. 

„Gab es denn Momente, in denen du sie beschützen musstest?“

Er nickte. „Das mit der Sorge fing schon an, als ich noch ganz klein war, und es wurde nicht besser, als ich dann Teenager wurde und immer mehr Kraft entwickelt hab. Da habe ich mich ihm oft in den Weg gestellt. Aber eigentlich waren das die guten Momente, da ich meine Wut rauslassen konnte. Schlimmer war es, wenn ich nur gehorcht habe, ob alles okay ist oder ob sie sich wieder streiten.“

„Das muss sehr anstrengend für dich gewesen sein, nie zur Ruhe zu kommen”, sagte Orla. Ihr Herz schmerzte für den kleinen Jungen, der er gewesen war.

Ronan atmete tief durch. „Das macht eine Menge mit einem und bringt das ganze Leben durcheinander. Der Schlafmangel hat auch nicht geholfen, dass ich entspannter und gutmütiger wurde.” Er zog eine Grimasse.

„Geht es Diarmuid genauso?”, fragte Orla.

Ronan schaute sie an. „Hat er dir das erzählt?”

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann es an seinem Verhalten merken. Er wirkt ständig gehetzt und beobachtet alles. Und worum ging es gestern in dem Streit? Was war der Auslöser?”

Ronan verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Bei anderen war das eine entspannte Geste, aber Orla wusste, dass Ronan das oft tat, wenn er nachdachte oder ein Problem wälzte. 

„Benny will nach Hause. Anscheinend gibt es dort irgendetwas, was er tun will oder muss. Es macht ihn nervös, dass er nicht in Dublin sein kann. Aber du stehst ihm dabei im Weg. Und Diarmuid hat versucht, ihn in seine Grenzen zu weisen, weil er sich Sorgen gemacht hat, dass Benny dir gefährlich werden könnte. Aber wir haben das gestern geklärt und seine Tatkraft in die richtigen Bahnen gelenkt.“

Orlas Magen zog sich zusammen, aber es war nicht Angst oder Sorge vor Benny, denn sie wusste, dass Ronan nicht zulassen würde, dass ihr etwas geschah. Es war eher die Tatsache, dass Diarmuid meinte, auf sie aufpassen zu müssen. Diese Last sollte er nicht tragen müssen.

Sie wusste, dass jetzt die schwierige Phase begann. Das war nicht untypisch für Jugendprojekte, das war etwas, was sie gleich am Anfang von Shane gelernt hatte. 

Wenn man mit Jugendlichen arbeitete, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kamen, konnten sie ihre körperlichen Kräfte manchmal nicht richtig einschätzen und nutzten Strategien und Taktiken, um durchs Leben zu kommen, die sie in Familien gelernt hatten, die aber in einem anderen Umfeld nicht funktionierten. Es ergab so viel Sinn. Die Nervensysteme der Jugendlichen waren ständig überreizt, und das führte dazu, dass sie manchmal die falschen Entscheidungen trafen.

„Er muss mich nicht beschützen”, sagte sie.

Ronan nickte. „Ich weiß. Du kannst gut für dich selbst sorgen.”

Orla lächelte. „Zur Not hab ich ja immer noch dich. Es war gut, dass ich dich gestern rufen konnte.”

Ronan warf ihr einen Blick zu. „Und es war richtig, dass du es getan hast. Ich glaube, wenn du dich noch weiter eingemischt hättest, dann wäre es eher eskaliert. Du hast also genau richtig gehandelt. Und den beiden hat es gut getan, dass sie sich danach etwas körperlich betätigen konnten. Jetzt ist wieder alles entspannt.”

„Hab ich gemerkt”, sagte Orla und trank noch einen Schluck Tee. „Danke dafür.”

Sie reichte ihm die Tasse, damit er den Rest austrinken konnte, und dieses Mal streiften sich ihre Finger nicht zufällig. Ronan hielt die Tasse einen Augenblick zu lange fest, und Orla ließ nicht los.

„Ich finde, wir sind ein gutes Team”, sagte sie.

Er blickte sie an. Seine Augen waren forschend, grau wie der irische Himmel. Und sie mochte den Ausdruck darin.

„Das finde ich auch”, sagte er. „Ich mag es, mit dir zusammen zu sein.”

Orlas Herz stolperte. Noch immer berührten sich ihre Finger. 

„Ich habe lange über neulich nachgedacht”, sagte er schließlich.

„Worüber genau?”, fragte Orla, obwohl sie eine Ahnung hatte, was er meinte. Aber sie wollte es von ihm hören.

Sanft strich er mit einem Finger über ihren. Die Berührung schickte Schauer über ihre Haut. „Ich hätte dich neulich fast geküsst. In der Küche.”

Orla nickte. „Ich hätte nichts dagegen gehabt”, sagte sie.

Ronan schaute kurz aufs Meer, doch noch immer hielten sie beide die Tasse in der Hand. Für einen Außenstehenden hätte es vermutlich albern ausgesehen, aber Orla genoss den Körperkontakt, und sie mochte es, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelte. Die Sonne war nun über dem Horizont, immer noch groß und orange, und sie erleuchtete Ronans Gesicht.

Schließlich schaute er sie wieder an. „Und jetzt? Hättest du immer noch nichts dagegen, wenn ich dich küsse?”

Das Kribbeln in Orlas Magen explodierte wie Feuerwerk, und sie konnte für einen Moment nicht antworten. Das hier passierte wirklich.

„Überhaupt nicht”, sagte sie leise.

Ihre Stimme klang atemlos, aber das konnte sie nicht ändern. 

Ronan nickte langsam und schaute für einen kurzen Moment wieder aufs Meer, als ob er jetzt eine Entscheidung treffen müsste. Er wandte den Kopf, stellte die Tasse ab, und dann beugte er sich zu ihr hinüber. Seine Finger lagen ganz sanft auf ihrer Wange, und zärtlich strich er mit dem Daumen darüber. 

Sie konnte kaum glauben, was gerade geschah, aber sie genoss es, dass es wahr war.

Er neigte sich vor, und seine Lippen berührten ganz sanft ihre. Es fühlte sich an wie nach Hause kommen, und Orla seufzte leise. Doch das war ihr peinlich, und sie kniff die Augen zusammen.

„Alles gut”, murmelte Ronan an ihren Lippen und küsste sie inniger.

Sie erwiderte den Kuss, und als sie den Mund etwas öffnete, war er es, der seufzte. Jetzt musste sie lächeln, und sie spürte, dass Ronan es ihr gleichtat. Sie war noch nie so geküsst worden. So zärtlich, so vertraut und gleichzeitig so aufregend. Es war, als ob Ronan genau verstand, was sie brauchte, und als ob er dasselbe wollte.

Sie küssten sich eine Weile, während die Sonne langsam aufging, und das goldene Licht sie umhüllte. Orla genoss es, ihm so nahe zu sein und wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre sie ihm noch viel näher gekommen. Aber sie konnte ja schlecht hier auf seinen Schoß klettern.

 Schließlich hörte sie, wie ein Auto den Weg heraufkam. Ronan beendete den Kuss, löste sich aber nicht sofort von ihr, sondern schaute ihr noch einmal lange in die Augen, während er ihr über die Wange strich.

„Danke”, sagte er, und als das Auto um die Ecke bog, ließ er sie los und setzte sich wieder hin.

Auch Orla lehnte sich zurück und versuchte, ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Ihre Lippen prickelten noch von seinem Kuss. Sie hätte auch zu danken, aber das konnte sie gerade nicht sagen, denn ihr fehlten die Worte. Noch nie hatte sie sich so wohl mit einem Mann gefühlt.

Das Auto bog um die Ecke, wurde kurz vor dem Cottage langsamer, und der ältere Mann am Steuer ließ das Fenster runter.

„Morgen, ihr beiden!”, rief er. Es klang, als würden sie sich schon ewig kennen. Dabei wusste Orla nicht einmal den Namen des Mannes. „Wie geht es euch?”, fragte er.

Ronan nickte. „Ausgezeichnet”, sagte er.

Orla sah, wie der Mann erstaunt die Augenbrauen hob. Vermutlich war das eine Aussage, die die Leute hier nur selten von Ronan hörten, der sonst eher verschlossen war. Aber das war der richtige Ausdruck. Auch ihr ging es ausgezeichnet.

„Ihr macht es richtig”, sagte der Mann. „Den Tee draußen trinken. Das sollte ich auch mal wieder mit meiner Frau machen.”

„Wenn du nicht jeden Morgen angeln fahren würdest, dann könntet ihr das tun”, sagte Ronan und klang fast vergnügt dabei.

Orla schenkte sich mit zitternden Händen etwas Tee nach und trank. Sie legte die Lippen an die Stelle, die Ronan vorhin benutzt hatte. 

Der Mann lachte gutmütig. „Vielleicht kann ich das ja mal wieder ausfallen lassen”, sagte er. „Sehen wir uns beim Fest?“

„Stellt Becky wieder aus?”, fragte Ronan.

Orla sah, wie der Mann im Auto wieder erstaunt die Augenbrauen hob. Vermutlich kannte er es nicht, dass Ronan so freundlich und fast vergnügt war.

„Ja, tut sie”, sagte er dann und richtete seinen Blick auf das Haus. „Ich glaube, eure Kinder sind wach”, sagte er.

Und in diesem Moment hörte Orla ein Klappern aus der Küche. Sie lächelte. Ihre Kinder. Die Worte hallten in ihrem Herzen wider. Ein bisschen verrückt und trotzdem schön. Diesen Gedanken wollte sie gar nicht weiter erforschen.

Jetzt hieß es, Frühstück zu machen für die Jugendlichen. Und dann würde sie vermutlich den Rest des Tages nur noch an diesen Kuss denken, der der schönste ihres Lebens gewesen war. Und sie würde nicht weiter darüber nachdenken, was das für sie und Ronan bedeutete. Denn sie hatte keine Ahnung. Jetzt wollte sie es erst einmal nur genießen.

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2 Gedanken zu „Meet me in Ireland – Kapitel 14“

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