
Ronan zog das große Tor der Werkstatt auf und stellte es draußen fest, damit die Tür offen blieb. Die salzige Meeresluft strömte herein und vermischte sich mit dem Duft von altem Holz. Er ging hinein und entdeckte Orla an einer der Werkbänke, wo sie etwas auf kleine Zettel schrieb. Wie immer trug sie ein T-Shirt und kurze Shorts, und heute hatte sie Sandalen an. Der kleine Absatz betonte ihre Beine, und er merkte, dass sein Blick ein wenig zu lange darauf liegen blieb.
“Das ist eigentlich nicht die richtige Kleidung für eine Werkstatt”, sagte er und ärgerte sich sofort, dass er nicht wenigstens guten Morgen gesagt hatte. Warum musste er immer so unfreundlich sein? Trotzdem fuhr er fort: “Wenn die Jugendlichen kommen, solltest du dir etwas anderes anziehen, vor allem geschlossene Schuhe.”
Orla wandte sich um und lächelte. Das Sonnenlicht fiel durch die sauberen Fenster und ließ ihre braunen Locken golden schimmern. “Das ist ein guter Hinweis. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Guten Morgen.”
“Morgen”, sagte er und fühlte sich wie ein grober Klotz. Er schaute sich um und bemerkte, dass die Werkstatt schon viel aufgeräumter aussah. Vor allem war sie sauber. Der Boden war gekehrt, die Regale und Werkbänke waren abgewischt und nicht mehr so staubig, und man hatte einen besseren Blick nach draußen. Die Werkstatt wirkte viel heller und lebendiger.
“Du hast die Fenster geputzt”, stellte er fest.
Orla lächelte. “Ja, ich wollte etwas Licht hereinlassen, und ich glaube, die haben schon seit Jahren keinen Lappen mehr gesehen.”
“Stimmt”, sagte er. “Es sieht viel besser aus.”
“Nicht wahr?”, fragte sie vergnügt. Ihre Augen strahlten vor Stolz.
Ronan hob nur die Schultern. Irgendwie hatte die gesamte Werkstatt einen femininen Touch bekommen. Er war sich nicht sicher, ob es ihm gefiel. Aber er konnte nicht leugnen, dass es angenehm war.
Sie lächelte. “Ich habe gedacht, dass sich die Jugendlichen hier ein bisschen wohlfühlen sollen. Immerhin werden sie hier viele Stunden verbringen, und ich auch. Ich brauche es ein bisschen schöner.” Ihre Hände bewegten sich beim Sprechen, malten ihre Worte in die Luft und wie immer stellte er fest, dass er ihr gern zuhörte.
„In Ordnung.“ Ronan nickte und wandte sich wieder zur Tür, wobei er sich fragte, warum er sie nicht einfach mal loben konnte. Aber da er sonst immer allein arbeitete, war er es einfach nicht gewohnt, Lob zu verteilen. Aber er wollte, dass Orla sich in seiner Werkstatt wohlfühlte und anscheinend war sie jemand, der gern Lob hörte. Vielleicht würde er es ja doch noch über die Lippen bringen. Aus irgendeinem Grund freute er sich schon jetzt auf ihr Lächeln.
Er ging wieder hinaus in die Morgenluft, die nach dem Regen in der Nacht frisch und klar war, und lud die große Spanplatte vom Wagen. Er trug sie in die Werkstatt und schaute sich um.
“An welche Wand soll die?”, fragte er
Orla kam zu ihm. Er roch den leichten Duft ihres Shampoos, frisch und blumig. “Oh, ich dachte, Brendan bringt sie.”
“Nun, du musst mit mir vorlieb nehmen”, sagte er und hörte selber, dass es ein bisschen barsch klang. Warum konnte er nicht freundlicher sein?
Doch Orla schien sich daran gar nicht zu stören. Sie lächelte ihn an. “Das ist vollkommen okay. Ganz im Gegenteil, ich arbeite sehr gern mit dir. Ich will dich nur nicht zu sehr beanspruchen, denn ich werde sicherlich noch öfter deine Hilfe brauchen, und ich will nicht, dass du genervt von mir bist.”
“Ich bin nicht genervt”, sagte er und lehnte die Spanplatte an eine Wand. Wenigstens hatte er es geschafft, seine Stimme ein bisschen weicher klingen zu lassen.
Wieder lächelte sie und atmete tief durch. „Es freut mich sehr, das zu hören. Am ersten Tag kam es mir nämlich ein bisschen so vor und ganz ehrlich, das ist das Letzte, was ich will. Ich bin so dankbar, dass du uns hilfst.“ Sie nahm ihre Unterlippe zwischen die Zähne und Ronan musste den Blick abwenden, da diese Geste bestimmte nicht so sinnlich gemeint war, wie sie bei ihm ankam. Er sollte nicht auf ihre Lippen starren.
„Schon gut“, sagte er und klopfte auf die Spanplatte. Herrgott, was war mit ihm los? Warum klopfte er auf die Platte?
„Naja, Marion hat dich wirklich ein bisschen überfallen mit dem Projekt, das ist mir gestern klar geworden. Sicherlich hast du genug Arbeit mit deinen eigenen Sachen. Und dann sollst du auf einmal mir helfen und hast irgendwie gar nichts davon. Das ist wirklich sehr nett von dir.“
Ronan atmete tief durch. “Es ist schon okay.” Er würde ihr nicht sagen, dass er gern und freiwillig zu ihr in die Werkstatt kam. Er fand ihre Nähe einfach angenehm und kein bisschen anstrengend.
Die einzigen, die anstrengend waren, waren seine Freunde, die mit Orla flirteten. Aber auch das würde er ihr nicht sagen.
„Das freut mich“, sagte sie und ihre Stimme klang warm. „Und wenn irgendetwas ist, was dich stört, dann sag es mir gern. Ich möchte wirklich nicht, dass du genervt von mir bist. Oder von den Jugendlichen.”
Er hob kurz die Schultern. “Die Jugendlichen kenne ich ja noch nicht, und von dir…”
Er führte den Satz nicht zu Ende, sondern ging zur alten Kreissäge hinüber. Auf einmal brauchte er ein wenig Abstand. Er hatte schon zu viel gesagt. Seine Schritte hallten auf dem Holzboden. Doch Orla war niemand, der schnell locker ließ.
“Und von mir?”, fragte sie, um ihm auf die Sprünge zu helfen.
“Und von dir bin ich nicht genervt.” Er warf ihr einen schnellen Blick zu und merkte, dass sie ihn aufmerksam anschaute. Wieder lächelte sie.
“Puh”, erwiderte Orla und wischte sich über die Stirn, als ob sie Schweiß wegwischen müsste. Die spielerische Geste brachte ihn fast zum Lächeln. “Dann bin ich aber erleichtert. Vielleicht ist jetzt eine gute Gelegenheit, dich zu fragen, ob du möglicherweise noch für eine weitere Hilfe zur Verfügung stehen würdest?”
“Es kommt drauf an”, sagte Ronan und inspizierte das Sägeblatt der alten Kreissäge. Das vertraute Werkzeug fühlte sich gut in seinen Händen an.
“Darauf, wie anstrengend die Arbeit ist?”, fragte Orla und zog die Augenbrauen hoch. Ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen.
“Wie viel Zeit sie beansprucht”, sagte er. “Anstrengende Arbeit hat mich noch nie abgeschreckt.”
„Ich würde dich bitten, dass du eine Sicherheitseinführung für die Jugendlichen gibst. Wäre das möglich?” Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.
“Kann das nicht der Projektleiter machen?”, fragte Ronan. Obwohl er die Antwort schon ahnte.
Orla wiegte den Kopf hin und her. Eine Locke fiel ihr ins Gesicht, und sie strich sie hinters Ohr. Ronan ertappte sich bei dem verrückten Gedanken, dass er das gern getan hätte. “Ich bin mir nicht sicher, ob Shane dafür der richtige Typ ist. Er hat zwar diese Ausbildung gemacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob er an alles denkt. Ich glaube, du würdest das viel besser machen. So wie eben zum Beispiel dein Sicherheitshinweis, was meine Kleidung betrifft. Die Jugendlichen waren noch nie in irgendeiner Werkstatt, und ich glaube, sie würden von jemandem, der wirklich täglich damit arbeitet, besser lernen, was sie beachten sollen und was nicht.”
“Gut, ich mache es.“ Er war selbst überrascht, wie schnell er zugestimmt hatte.
Orlas blaue Augen weiteten sich. Sie strahlten wie das Meer an einem sonnigen Tag. “Wirklich?”
Sie hatte also nicht damit gerechnet, dass er so schnell zusagen würde. Nun gut, sie würde sich daran gewöhnen müssen, dass er jemand war, auf den man sich verlassen konnte.
“Ja, aber nur die Sicherheitseinweisung.”
„Kein Problem, mehr will ich gar nicht von dir.“ Sie kniff kurz die Augen zusammen, als ob sie ihre Worte bereute, und dabei kräuselte sich ihre Nase, die von feinen Sommersprossen übersät war, wie er jetzt aus der Nähe gut erkennen konnte. „Ich meine, ich weiß ja, dass du keine Zeit hast, deswegen bin ich schon sehr dankbar, wenn du die Sicherheitseinweisung machst.“
Ronan überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er gerade tatsächlich genug Zeit hatte. Vor ein paar Tagen hatte er mehrere große Aufträge abgeschlossen und es lag nichts Dringendes an. Eigentlich konnte er seine Zeit jetzt beim Angeln oder Segeln verbringen. Aber wenn er ihr das sagte und sie es womöglich an Marion weitererzählte, dann würde die ihn für alles mögliche einspannen.
Und gleichzeitig fragte er sich, ob er diese Zeit möglicherweise nutzen könnte, um sie mit Orla zu verbringen. Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als er schon irritiert den Kopf schüttelte. Das wäre eine dumme Idee. Trotzdem gefiel ihm der Gedanke, Orla besser kennenzulernen.
„Sag mir, wann ich die Einweisung machen soll und ich bin da.“
„Das ist großartig, danke“, erwiderte Orla. Erleichterung lag in ihrer Stimme. “Ich würde mich wirklich wohler fühlen, wenn alle wissen, was zu tun ist und was sie beachten müssen. Gibt es irgendetwas, was ich in der Hinsicht noch kaufen muss? Ich weiß nicht, ob die Jugendlichen irgendetwas mitbringen außer ihrer Kleidung und Handys, die vermutlich an ihren Händen festgewachsen sind.“
Ronan schüttelte den Kopf. „Keine Handys in der Werkstatt, das lenkt nur ab. Sie alle sollten festes Schuhwerk haben, und die Mädchen sollten ihre Haare zusammenbinden.”
Orla fuhr sich durch ihre offenen Locken, und er verfolgte mit dem Blick die Bewegung ihrer Hand, als sie durch die dichten braunen Haare fuhr. Sie sahen weich aus, und erneut fragte er sich, wie sie sich anfühlen würden. Wieder hatte er zu lange hingeschaut und wandte schnell den Blick zur Kreissäge.
„Alles klar. Über die Sache mit den Haaren habe ich noch gar nicht nachgedacht.“
Er bemerkte, dass auch die Kreissäge abgestaubt worden war. Er ließ den Finger vorsichtig über das Sägeblatt wandern und stellte fest, dass es ziemlich stumpf war. Es würde geschärft werden müssen. Aber die Kreissäge würden sie vermutlich eh nicht benutzen. Er entschied sich, das Sägeblatt auszubauen, damit keine Unfälle passierten.
Er sah, wie Orla ein Haarband aus der Tasche ihrer Shorts holte und sich einen Zopf band. „Gut so, am besten bist du Vorbild. Außerdem braucht ihr für jeden eine Staubschutzmaske und Schutzbrille, und die werden immer getragen”, sagte er und wog den Stecker in der Hand, während er darüber nachdachte, ob er die Kreissäge einmal laufen lassen sollte oder nicht.
“Warte”, sagte Orla und ging hinüber zur Werkbank, nahm einen Zettel und kam wieder zurück. Ihre Bewegungen waren fließend und anmutig und Ronan stellte fest, dass er an den Otter dachte, wenn er sie anschaute. Der bewegte sich auch so elegant. “Ich glaube, das muss ich mir aufschreiben, damit ich ja nichts vergesse.”
Sie lächelte, während sie schrieb. “Du machst das übrigens gut. Ich glaube, wenn du genauso streng mit ihnen bist wie mit mir, dann werden sie wirklich gut auf dich hören.”
“Das ist nicht streng”, sagte Ronan. Hörte er sich wirklich streng an?
Orla machte eine abwägende Handbewegung. Ihre Hände waren zierlich, aber sie bewegten sich selbstbewusst. “Na ja, du weißt schon. Du bist halt einfach sehr ernst. Ich kann mir vorstellen, dass du noch sehr viel strenger werden kannst und man das sicherlich nicht abbekommen möchte, wenn du mal böse wirst. Aber diese natürliche Autorität ist super, genau das, was wir brauchen. Vielleicht könntest du ja sogar zwischendurch ab und zu mal überraschend vorbeikommen und eine Sicherheitskontrolle machen. Dann tragen die bestimmt immer ihre Schutzbrille. Ansonsten muss ich sicherlich ständig herumdiskutieren, dass sie die nicht absetzen dürfen.”
“Wenn sie hinausgehen, dürfen sie sie schon absetzen”, sagte er. „Bei gröberen Arbeiten müssen sie Handschuhe tragen. Außerdem kein Rauchen und auch kein offenes Feuer. Keine Drogen und Alkohol versteht sich vermutlich von selbst.“ Die Regeln kamen automatisch, eingeprägt durch Jahre der Erfahrung.
“Alles notiert. Aber das erzählst du denen bestimmt auch noch mal?”, fragte Orla. Sie schaute ihn erwartungsvoll an. “Ich werde gleich mal eine Bestellung aufgeben, damit wir genug Masken haben. Brauchen wir auch Ohrstöpsel oder so etwas?”
“Ein paar Gehörschützer wären vielleicht nicht schlecht, gerade wenn jemand die Kreissäge oder andere der größeren Geräte bedient.” Er deutete auf die alte Maschine.
Skeptisch schaute Orla die Kreissäge an. “Die sieht ziemlich alt aus. Funktioniert die denn noch?”
“Das weiß ich noch nicht. Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber vielleicht sollte ich das mal in einem ruhigen Moment machen.” Er deutete zur Spanplatte hinüber. “Wenn du die an die Wand da drüben hängen möchtest, muss sie sowieso noch zugeschnitten werden. So passt sie nicht. Und dann könntest du gleich dein erstes Projekt machen und eine Aufhängung dafür bauen.”
“Ich?”, fragte Orla. Ihre Augen weiteten sich. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich das machen sollte. Vielleicht kannst du mir helfen?”
Er unterdrückte ein Lächeln. Sie sah bezaubernd aus in ihrer Überraschung. Er bemerkte, dass Orla ihn aufmerksam beobachtete. Als könnte sie seine Gedanken lesen.
“Das kriegen wir hin.”
“Und du meinst also, dass die Platte noch zugeschnitten werden muss?”, fragte Orla skeptisch. “Hast du sie denn schon ausgemessen?”
Er schüttelte den Kopf. Jahre der Erfahrung hatten ihm ein Auge für Maße gegeben. „Das sehe ich so.“
Orla seufzte. „Ich könnte sowas nicht. Hast du schon immer als Tischler gearbeitet?”
Er zögerte und ließ die Hand über den Tisch der Kreissäge gleiten. Das glatte Metall war kühl unter seinen Fingern. “Das erste Mal habe ich diese Säge benutzt, als ich vierzehn Jahre alt war”, sagte er. Die Erinnerung brannte hell in seinem Kopf. “Von dem Moment an hat mich das Tischlerhandwerk nicht mehr losgelassen.”
“Und du hast immer hier in Emerald Cliffs gearbeitet? In dieser Werkstatt? Und dann deine eigene aufgemacht?”
Orla schaute ihn aus ihren braunen Augen an, und er sah, dass diese Frage nett und harmlos gemeint war, keine Hintergedanken.
Er schüttelte den Kopf. “Ich habe hier gearbeitet, bis ich Anfang zwanzig war. Dann habe ich Emerald Cliffs verlassen. Patrick musste kurz darauf die Werkstatt schließen und er ist gestorben.”
Es fiel ihm immer noch schwer, darüber zu sprechen. Der Schmerz saß tief.
“Das tut mir sehr leid”, sagte Orla sanft. Ihre Hand bewegte sich, als wollte sie ihn berühren, hielt dann aber inne. “Und wo hast du dann gearbeitet?”
Er hob die Schultern. “Hier und da. Habe mich so durchgeschlagen.”
“Warum habe ich das Gefühl, dass das eine Untertreibung ist?”, fragte Orla. Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen.
Ronan war überrascht, dass sie eine so gute Intuition hatte. Sie sah mehr, als die meisten Menschen.
“Ich hatte Glück”, sagte Ronan. “Ich hatte gute Lehrmeister, war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.”
Wieder ließ er die Hand über die Platte der Kreissäge gleiten. Manchmal hatte er allerdings das Gefühl, dass es kein Glück gewesen war. Eher Schicksal.
“Und wo hast du dann gearbeitet? Hier in Irland?” Sie ließ nicht locker.
Wieder zögerte Ronan und wusste nicht, warum er ihr all das erzählte. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es gut bei ihr aufgehoben war. Schließlich hatte sie ihm auch von ihrer schwierigen Jugend erzählt, als sie sich eigentlich noch überhaupt nicht kannten. Sie war jemand, dem man vertrauen konnte. Zumindest sagte ihm das sein Gefühl. In den vergangenen Jahren hatte er gelernt, Menschen zu lesen.
“Ich habe in verschiedenen europäischen Ländern gearbeitet. Zuletzt am Mittelmeer.” Er entschied sich, ihr nicht zu sagen, dass er in Monaco an Yachten den Innenausbau gemacht hatte, die hunderte von Millionen Euro wert waren. Es hörte sich wie Aufschneiderei an und meistens wollten die Leute nur Geschichten über die Reichen hören, die er nicht liefern konnte.
Orla schwieg und schaute ihn nur abwartend an. Schließlich hatte er das Gefühl, als ob er noch mehr sagen könnte.
“Irgendwann hatte ich genug von all dem und ich bin nach Irland zurückgekehrt.”
“War das eine gute Entscheidung?”, fragte sie. Ihre Stimme war weich wie irischer Regen.
Diese Frage hatte ihm noch niemand gestellt. Er dachte einen Moment darüber nach, dann nickte er. Zum ersten Mal fühlte er sich sicher in seiner Antwort.
“Ja. Hier ist das Leben so viel ruhiger”, sagte er. “Die Leute sind entspannter, und meistens gibt es nicht so viel Aufregung um Nichtigkeiten.“ Hier konnte er atmen. „Und es geht um die Menschen und nicht nur ums Geld.“
Sie legte den Kopf schief. “Darf ich fragen, was du vorher gemacht hast?”
Ronan schaute aus dem Fenster aufs Meer hinaus, das heute unruhig war. Der Wind hatte aufgefrischt. Weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellen.
“Ich habe in Monaco gelebt und Yachten ausgebaut.” Die Worte schmeckten fremd in seinem Mund.
“Oh”, sagte Orla. Überraschung flackerte in ihren Augen auf.
“Aber es war nicht so, wie man sich das vorstellt”, beeilte sich Ronan zu sagen. Er wollte nicht, dass sie ein falsches Bild bekam.
Orla nickte. Verständnis lag in ihrem Blick. “Ich weiß genau, was du meinst. Ich habe in einer Werbeagentur in New York gearbeitet, und alle Leute waren der Meinung, dass ich ein glamouröses Leben führe und ständig auf Partys gehe, in schicken Abendkleidern herumlaufe und den ganzen Tag Cocktails trinke.”
Aufmerksam schaute Ronan sie an. Er konnte sie sich in einem Abendkleid vorstellen. Sie wäre atemberaubend. Doch darum ging es nicht. Ihre Geschichte war seiner vielleicht gar nicht so unähnlich. „Aber so war es nicht?”
Sie schüttelte den Kopf. Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht. “Ganz und gar nicht. Meine Tage waren hektisch und stressig. Ich saß eigentlich nur in Meetingräumen und habe irgendwelche Kampagnen vorgestellt, die ich selbst nicht gut fand. Oder ich saß an meinem Computer und habe Ideen entwickelt. Irgendwann hatte ich nicht mehr die Zeit für Inspirationen. Ich hatte eigentlich überhaupt kein Privatleben und habe nie irgendetwas aus Spaß oder Freude gemacht, sondern immer nur gearbeitet. Und dann hatte ich das Gefühl, als ob meine kreative Ader erloschen ist. Das hatte ich vorher immer für eine Selbstverständlichkeit gehalten, aber auf einmal war der Funke weg. Ich habe trotzdem versucht weiterzumachen. Weißt du, wenn man in diesem Rad drin ist, dann kann man nicht einfach aufhören. Schließlich kostet das Leben in New York viel Geld, und wenn ich meinen Job gekündigt hätte, hätte ich auch aus New York wegziehen müssen. Dazu war ich eine Zeit lang noch nicht bereit.”
“Aber irgendwann warst du es”, sagte er, “denn immerhin bist du jetzt hier.” In Emerald Cliffs, bei ihm in der Werkstatt.
Sie nickte und schaute nachdenklich aus dem Fenster, sodass er sie in Ruhe anschauen konnte. “Irgendwann ging es nicht mehr. Und es war mir völlig egal, ob die Leute dachten, dass ich verrückt bin, dass ich einen Job in einer großen Werbeagentur in New York hinter mir lasse, wo ich mich schon ein Stück nach oben gearbeitet hatte. Aber für mich war es wirklich besser so.” Ihre Stimme wurde fester.
“Bei mir war es ähnlich”, hörte Ronan sich selbst sagen, und er war überrascht, dass er das zugab. Eigentlich hatte er das noch niemandem erzählt, aber Orla schien jemand zu sein, der so etwas verstand. Eine Seelenverwandte in gewisser Weise.
“Magst du mir mehr davon erzählen?”, fragte Orla. Ihre Stimme war einladend, nicht fordernd.
Gerade wollte er erwidern ‘Ein andermal vielleicht’, als ihm auffiel, dass auch sie viel mit ihm geteilt hatte. Und das war bestimmt auch etwas, was sie nicht jedem erzählen würde. Er schuldete ihr die gleiche Offenheit.
“Ich habe die Yachten von Milliardären ausgebaut, Scheichs, reichen Unternehmern aus den USA.” Die Erinnerungen schmeckten bitter und er hielt inne.
Orla zog eine Grimasse. “Klingt nicht so, als ob die Leute besonders nett und entspannt gewesen wären. Zumindest waren die richtig reichen Leute, die Kunden bei uns waren, es nicht.“
Ronan hob die Schultern. „Mit den Besitzern hatte ich oft wenig zu tun, es waren eher die, die ihre Yachten gemanagt haben, die mir die Aufträge gegeben haben. Ich hatte ziemlich viele Freiheiten, was die Materialauswahl anging. Ich konnte mit den edelsten Hölzern arbeiten. Aber die Leute hatten so genaue und verrückte Vorstellungen, die ich manchmal einfach technisch nicht umsetzen konnte. Weißt du, manche Dinge gehen einfach nicht. Niemand hätte sie umsetzen können. Das war so unglaublich frustrierend. Dann bekommt man den Zorn der Verwalter und Manager ab und teilweise auch der Reichen. Und wenn man versucht zu erklären, wird einem gesagt, dass man doch dankbar sein sollte, dass man diesen Job überhaupt hat. Das hat mir auch jede Kreativität genommen.” Er war selbst überrascht, wie viel er erzählt hatte.
Orla nickte. “Das kann ich gut verstehen. Wir sind beide in diese Jobs gegangen, weil wir sie lieben, und dann hat dieser ganze Stress und Druck uns einfach kaputt gemacht.” Sie verstand. Sie verstand wirklich.
Sie wechselten einen Blick und Ronan wunderte sich, dass er jemandem von dieser Zeit in Monaco erzählt hatte. Aber bei ihr fühlte es sich richtig an.
Er atmete tief durch. „Bei mir war es so, dass niemand hier wusste, wo ich war. Deswegen konnte mich auch niemand um meinen Job beneiden. Alle dachten, ich würde irgendwo in Frankreich in einer kleinen Tischlerei arbeiten.” Er hatte sich jahrelang bei niemandem hier gemeldet. Es war ein Wunder, dass sie ihn einfach so wieder aufgenommen hatten ohne Fragen zu stellen.
“Und dann bist du wieder zurückgekehrt?”, fragte Orla.
“Ja. Irgendwann wollte ich einfach nur noch weg.” Er zögerte. “Mir ist sogar das gute Wetter auf die Nerven gegangen, und ich habe mich nach dem irischen Regen gesehnt.”
Er erinnerte sich noch gut an den Moment, als er in Emerald Cliffs am Strand gestanden hatte und der Nieselregen auf sein Gesicht gefallen war. Die kühlen Tropfen hatten sich wie eine Segnung angefühlt. In dem Moment hätte er fast vor Freude geweint. Doch das würde er Orla ganz sicherlich nicht erzählen. Sie sollte nicht denken, dass er weich war.
Orla lächelte. “An den vielen Regen muss ich mich noch gewöhnen. New York hat zwar strenge Winter, und natürlich regnet es auch mal, aber es gibt auch wirklich richtig schöne Tage.”
“Die gibt es hier auch”, sagte Ronan, “aber sie sind ganz anders als in Monaco.” Hier hatte Schönheit eine andere Qualität. Rauer, echter.
Jetzt lachte Orla laut. Der Klang füllte die Werkstatt mit Wärme. “Das kann ich mir vorstellen.”
Sie schaute zur Spanplatte hinüber. Ihre Hände zuckten, als wollte sie sie berühren. “Wirst du sie heute noch mit dieser Kreissäge zuschneiden?“
Er schüttelte den Kopf. “Ich denke nicht. Ich glaube, die Säge muss ich erst einmal überholen. Ich würde es in meiner Werkstatt machen.” Wo er die richtigen Werkzeuge hatte.
Er war erstaunt, dass sie nicht weiter nachfragte, wie sein Leben in Monaco gewesen war. Irgendwann hatte er es seinen Freunden und anderen in Emerald Cliffs doch erzählt, zwar nicht alle Details, aber zumindest grob. Und alle hatten gefragt, ob sein Leben glamourös gewesen war und ob er Stars und Prominente getroffen hatte. Orla fragte nicht nach, vielleicht weil sie selbst in dieser Welt gelebt hatte, die nur anderen so toll vorkam und in der man sich oft verloren fühlte. Sie kannte die Leere hinter dem Glanz.
Orlas Augen leuchteten auf. Wie die Sonne, die durch Wolken bricht. “Könnte ich mitkommen in deine Werkstatt? Ich würde sie so gern mal sehen, ich meine, diese hier ist auch schon toll, aber…”
Sie brach ab. Ein Hauch von Rosa überzog ihre Wangen. Nach einer Weile sagte sie: “Ich würde einfach gern eine moderne Werkstatt sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie noch schöner ist als diese hier.”
Ronan hob die Schultern. Aber sein Herz schlug schneller. “Als schön würde ich sie nicht bezeichnen, aber ich arbeite gern dort.”
“Dann darf ich also mit?” Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.
Das hatte er ehrlich nicht erwartet, aber er sah keinen Grund, warum er es ablehnen sollte. Im Gegenteil, die Vorstellung gefiel ihm. Er hatte nur selten Leute in seiner Werkstatt. Die anderen vier Handwerker waren oft dort, und manchmal Kunden, die ihre Möbelstücke begutachteten oder mit denen er Pläne durchging. Aber meistens war er dort allein, und einen Besucher, der sich einfach nur die Werkstatt anschauen wollte, hatte er noch nie gehabt. Aber das könnte durchaus interessant werden. Mit ihr würde es das sein.
“Also gut”, sagte er. Die Worte kamen leichter als erwartet. “Komm mit. Aber vorher fahren wir beim Cottage vorbei, und du ziehst dir feste Schuhe und eine lange Hose an.”
Sie lächelte. Ihre Augen funkelten schelmisch. “Wenn du dann noch eine Schutzbrille für mich hast, bin ich für alles gewappnet.“
“Kein Problem.” Er würde ihr die beste geben, die er hatte.
Gemeinsam verließen sie die Werkstatt. Die frische Meeresluft umfing sie, salzig und kühl. Er wusste nicht warum, aber es hatte fast irgendetwas Vertrautes, mit ihr in seinen Wagen zu steigen und durch Emerald Cliffs zu fahren. So als ob sie das schon häufiger gemacht hätten. Und auch das war etwas Neues für Ronan. Irgendwie war es nicht unangenehm. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass er sich daran gewöhnen könnte, Orla hier zu haben. Vielleicht wollte er das sogar.
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Hallo Julia
Ich warte schon sehnsüchtig auf die nächsten Kapitel und freue mich darauf sie zu lesen.
Ich bin auf Ihre weitere Geschichte gespannt
Liebe Grüße von Chrischa
Hallo Julia
Ich warte schon sehnsüchtig auf die nächsten Kapitel und freue mich darauf sie zu lesen.
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Liebe Grüße von Chrischa
Liebe Julia,
vielen Dank für die Möglichkeit diesen Roman während seiner Entstehung lesen zu dürfen.
Als “Späteinsteigerin” konnte ich die ersten 6 Kapitel in einem Stück lesen.
Die Spannung steigt und somit muss ich eine lange Geduld mitbringen bis der Roman zu Ende ist.
Als Rentnerin freue ich mich auf jedes neue Kapitel. Jedoch lese ich sehr viel und daher nicht nur diesen Fortsetzungsroman.
Liebe Grüße verbunden mit hoffentlich noch sehr vielen Ideen für weitere Romane