Meet me in Ireland – Kapitel 18

Der Wind hatte merklich zugelegt und rüttelte an den Fensterläden vom Craftsmen Quarter. Das war der Sturm, den Mike in seinen Knochen gefühlt hatte.

Aber der war nichts im Gegensatz zu dem Sturm, der in Ronans Innerem tobte. Orla würde gehen. Schon bald. Einfach so.

Er verdrängte den Gedanken und zwang sich, sich auf die Buchhaltung zu konzentrieren. Eigentlich hatte er an dem Schrank weiterarbeiten wollen, den er gerade restaurierte. Aber nachdem er einen Zapfen abgebrochen hatte, hatte er es für besser befunden, keine Werkzeuge mehr in die Hand zu nehmen. Nicht, bevor er sich beruhigt hatte.

Doch er wusste nicht, wann das soweit sein würde.

Die Nachricht, dass Orla diesen Job annehmen würde, hatte ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. Das war er nicht gewohnt. Frauen brachten ihn niemals aus dem Gleichgewicht. Andere Menschen auch nicht. Und es störte ihn mehr, als er zugeben wollte.

Jetzt saß er an seiner Buchhaltung, während es draußen dunkel geworden war und der Sturm immer heftiger wütete.

Sein Blick fiel auf die hastig gepackte Tasche in der Ecke seiner Werkstatt. Vorhin hatte er schnell seine Sachen geholt, bevor Shane ins Cottage kommen würde. Es war besser, wenn er keine Spuren hinterließ. Der Typ war einfach ein Idiot.

Und wie kam er auf den Gedanken Orla für einen Job vorzuschlagen ohne sie vorher zu fragen? Das war vollkommen übergriffig. Egal, wie gut der Job war oder wie astronomisch das Gehalt. Und was war das überhaupt für ein Ausdruck? Als ob es nur ums Geld ging.

Orla war niemand, dem es ums Geld ging. Oder vielleicht doch? Er hatte ihr Gesicht nicht gesehen, als Shane von dem Gehalt gesprochen hatte, aber wenn er sie richtig verstanden hatte, so schlug sie sich seit zwei Jahren mit freiberuflichen Jobs und Teilzeitverträgen durch. Sie hatte nicht einmal eine eigene Wohnung, sondern schlief immer in einfachen Zimmern, die sie für eine Zeit mietete. Als ob sie auf irgendetwas warten würde.

Vielleicht wartete sie ja auf den tollen Job mit der Firmenkreditkarte und den Dienstreisen in die USA und nach Asien.

Ganz sicher wartete sie nicht auf Emerald Cliffs und schon gar nicht auf ihn. Verdammt, warum ärgerte ihn das so?

Das Ganze mit ihnen war sowieso nur eine Affäre gewesen. Das hatte er doch schon gewusst, als er sie zum ersten Mal geküsst hatte.

Ronan starrte auf die Zahlen in der Tabelle und fragte sich, was er da gerade eingetragen hatte. Das sollten eigentlich die Ausgaben für Material sein, aber da standen nur Cent-Beträge.

Er stöhnte und wischte sich übers Gesicht. Was sie wohl gerade machte? Saß sie in ihrem Zimmer und las alles über Next Phoenix? Oder bereitete sie Essen vor?

Er schaute auf sein Handy. Sie hatte ihm nicht geschrieben.  Warum denn auch? Es gab ja nichts mehr zu besprechen.

Sein Blick fiel auf die Internet-App. Er war versucht, sich noch einmal die Website von Next Phoenix anzuschauen. Aber vermutlich würde ihm dann wieder schlecht werden. Orla passte perfekt in ein Unternehmen wie das. Viel besser als in eine staubige Werkstatt in Emerald Cliffs.

Er dachte an die Fotos von den Mitarbeitern des Unternehmens, die alle jung, dynamisch und total cool wirkten. Oder wie auch immer man das heutzutage ausdrückte. Auf einmal kam er sich alt und hinterwäldlerisch vor.

Ob sie dann mit so einem zusammenkommen würde? Bisher hatte er den idiotischen Shane für die größte Gefahr gehalten, aber vermutlich würde sie den auch nicht mehr anschauen, wenn sie mit einem von diesen aufstrebenden Unternehmern zusammen war.

Er wollte nicht einmal daran denken, dass sie mit dem dann auch Tee trinken würde. Doch vermutlich würde sie dann nur noch Cocktails und Champagner trinken, so wie diese furchtbaren Menschen in Monaco.

Eine Sturmböe prallte gegen das Haus und Ronan lauschte, als irgendwo etwas klapperte. Vielleicht sollte er nochmal das Gebäude kontrollieren, ob alles gesichert war. Ob im Seaglass Cottage alles sicher war? Aber das konnte der gute Shane ja jetzt übernehmen.

Er stand auf und in diesem Moment öffnete sich die Tür. Einen Herzschlag lang dachte er, dass es Orla wäre, doch dann trat Finn in seine Werkstatt.

„Hier bist du also.“

Ronan runzelte die Stirn. „Hast du mich gesucht?“

Finn trat ein und fuhr sich durchs Haar. Es war vom Sturm zerzaust und nass. Dann regnete es also schon. „Allerdings. Ich war eben bei dir zuhause.“

„Warum?“, fragte Ronan und zog seine Jacke über. „Und wenn du schon da bist, kannst du mir eben kurz helfen nachzuschauen, ob alles gesichert ist? Der Sturm wird heftig.“

Finn nickte. „Das hat Mike schon vor Tagen prophezeit.“ Er legte eine Hand auf den Türgriff. „Hör zu, ich schaue, ob hier alles okay ist. Dann muss ich zu Connor. Er braucht Hilfe in der Destillerie, da die Flut das Wasser in die untere Halle drückt und die Fässer da raus müssen.“

Ronan nickte. „Alles klar, ich gehe schon mal vor.“

Doch Finn schüttelte den Kopf. „Nicht zu Connor. Du musst ins Cottage.“

„Zu Mike? Stimmt was nicht?“

Finn runzelte die Stirn. „Nein, zu Orla meinte ich. Sie sucht dich und konnte dich nicht erreichen. Anscheinend ist das Handynetz ausgefallen.“

Ronan straffte die Schultern. Sie suchte ihn also. Hieß das, dass sie reden wollte? Doch dann schüttelte er den Kopf. „Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich gehe morgen zu ihr.“

Finn zog eine Mütze aus der Tasche und setzte sie auf. „Diarmuid ist verschwunden. Deswegen sucht sie dich. Nicht weil sie mit dir …“, er hob die Augenbrauen.

Ronan erstarrte mitten in der Bewegung. „Der Junge ist weg?“ Verdammt, das war etwas anderes. Natürlich machte sie sich Sorgen. Er hatte schon den Türgriff in der Hand. „Woher weißt du das?“

„Ich war da, weil Tante Bridget wollte, dass ich die Fensterläden schließe. Sie hat dich nicht erreicht, da du hier ja kein Festnetztelefon mehr hast.“ Er verdrehte die Augen. Das war eine ständige Diskussion zwischen ihnen, aber Ronan hatte jetzt keine Zeit dafür.

„Wie geht es ihr?“, fragte Ronan und schloss den Reißverschluss seiner Jacke.

„Tante Bridget? Gut. Sie …“

„Idiot“, brummte Ronan. „Wie geht es Orla?“

„Ganz okay. Aber dieser Typ war da und hat Stress gemacht. Er wollte schon die Polizei suchen. Da dachte ich, dass ich erst einmal dich hole.“

Ronan biss die Zähne zusammen. „Danke.“

Finn stieß ihn an. „Nun geh schon. Ich kümmere mich hier um alles und werd auch Connor helfen. Brendan ist auch mit da.“

Er schob Ronan fast aus der Tür in den Sturm hinaus, der im Innenhof durch die starken Mauern des Craftsmen Quarter kaum spürbar war.

Ronan entschied sich, mit dem Auto zum Cottage zu fahren. Möglicherweise brauchte er es noch, wenn er sich auf die Suche nach Diarmuid machte. 

Es war zwar nicht weit zum Seaglass Cottage, aber die Fahrt gestaltete sich abenteuerlich. Immer wieder drohten Windböen ihn von der Straße zu drängen. Eine Mülltonne rollte über die Straße. Ronan hielt an und sicherte sie, damit nicht noch ein anderer Autofahrer zu Schaden kam.

Allerdings war außer ihm kaum jemand draußen. Er sah Licht in vielen Häusern und der Destillerie. Das schlechte Gewissen packte ihn kurz, dass er seinem Freund nicht half, aber die Sicherheit des Jungen ging vor.

Er parkte vor dem Cottage und sah, wie die alte Miss Beary auf der gegenüberliegenden Straßenseite versuchte ihren Gartenstuhl aus der Hecke zu befreien. 

Schnell lief Ronan zu ihr und trug ihr den Stuhl ins Haus. Er vergewisserte sich, dass es ihr gut ging und wehrte alle Dankesbezeugungen in Form von Whisky oder Torte ab.

„Nicht der Rede wert“, sagte er und wandte sich wieder zur Tür.

„Du kannst doch nicht wieder raus in den Sturm gehen, Junge“, sagte sie.

„Ich muss“, erwiderte er. Aber er sagte ihr nicht, dass sie einen der Jugendlichen vermissten, denn die alte Dame war eine derjenigen gewesen, die sich Sorgen um die Sicherheit gemacht hatte, als sie das Projekt begonnen hatten.

Er verabschiedete sich und ging wieder auf die Straße. Hier war es immer sehr dunkel, da es keine Straßenlaternen gab, aber heute war es besonders schlimm. Zum Glück hatte er eine starke Taschenlampe im Auto.

Aber vielleicht war Diarmuid ja auch schon wieder da.

Am Cottage brannte das Außenlicht über der Tür. Er wollte die sie öffnen, aber sie war von innen abgeschlossen. Ronan runzelte die Stirn. Dann klingelte er. Doch durch das Brausen des Sturms konnte er nichts hören.

Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Shane stand vor ihm. Er sagte etwas, doch Ronan konnte ihn nicht verstehen.

Hinter ihm stand Orla, die gerade ihre Jacke anzog. Mit großen Augen schaute sie ihn an. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schaute an ihm vorbei.

Ronan trat in den Flur.

„Wo ist Diarmuid?“, fragte sie. „Hast du ihn nicht mitgebracht?“

Ronan schüttelte den Kopf. „Er ist nicht hier?“

„Nein!“ Orla wirkte entsetzt. „Ich dachte, er wäre bei dir in der Werkstatt.“

„Warum sollte er?“

„Weil er vorhin gesagt hat, dass er zu dir will.“

Ronan seufzte und wischte sich übers Gesicht. „Verdammt.“

„Ronan, wo ist er?“ Ihre Stimme klang panisch.

„Das weiß ich nicht.“

Shane trat neben Orla. „Wieso wissen Sie das nicht?“

„Weil es nicht in meiner Verantwortung liegt“, entfuhr es Ronan. Herausfordernd schaute er Shane an. Was bildete der sich eigentlich ein? Wenn er das Projekt wieder übernahm, dann sollte er sich auch wirklich kümmern.

Gleichzeitig rasten seine Gedanken. Wenn Diarmuid nicht hier war und nicht in der Werkstatt, wo konnte er sonst sein?

Orla starrte ihn mit offenem Mund an. „Wie bitte?“, fragte sie.

„Ich schlage vor, wir rufen die Polizei“, sagte Shane jetzt.

Doch Orla schüttelte den Kopf. „Nein, warte.“ Sie wandte sich an Ronan. „Was hast du ihm heute Nachmittag gesagt?“

Er runzelte die Stirn. „Was meinst du?“

„Ihr habt doch lange geredet. Was hast du ihm gesagt? War das etwas, was ihn verstört hat? Ist er deswegen weggelaufen?“

Shane verschränkte die Arme. „Oh, das würde ich auch gern wissen.“

Ronan straffte die Schultern und wandte sich um. Das hatte keinen Sinn. Er riss die Tür auf und trat nach draußen.

Auf einmal war Orla neben ihm. „Was soll das?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Natürlich weißt du das. Wieso interessiert es dich nicht, wo Diarmuid ist?“

Was war denn das für eine blöde Anschuldigung? Natürlich interessierte es ihn.

„Es hat keinen Sinn mit diesem Typen zu reden.“ Er wies mit dem Daumen auf Shane. „Und ruft ja nicht die Polizei.“

„Ich denke, das müssen wir aber, wenn uns sonst keiner hilft.“

Ronan runzelte die Stirn. Was tat er denn hier gerade?

Er erwiderte nichts, sondern schaltete seine Taschenlampe ein. 

„Ronan“, sagte sie und ihre Stimme klang flehentlich.

„Ich muss jetzt los. Geh wieder rein.“

Auf einmal stemmte sie die Hände in die Hüften. „Was soll denn das?“ Sie klang ärgerlich.

„Ich habe keine Zeit für so etwas.“

Sie presste die Lippen zusammen und holte tief Luft. „Interessierst du dich überhaupt für mich?“

Ronan war sich sicher, dass er sich verhört hatte. Ungläubig schaute er sie an. Anscheinend wartete sie tatsächlich auf eine Antwort.

„Ich gehe jetzt Diarmuid suchen und du gehst am besten rein. Hast bestimmt noch was zu tun, oder? Morgen ist doch das große Bewerbungsgespräch.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde wütend. „Hör auf damit.“

Ronan reichte es. „Mach was du willst. Tust du ja sowieso. Aber was auch immer ihr vorhabt, ruft auf keinen Fall die Polizei. Verstanden?“

Orla verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum betonst du das immer so? Ich glaube, dass es besser wäre. Shane hatte vielleicht recht und du hast Diarmuid Flausen in den Kopf gesetzt.“

„Der Typ hat keine Ahnung“, brüllte Ronan, weil gerade eine Sturmböe heranrollte.

Orla hob die Augenbrauen. Der Wind erfasste sie und drohte sie umzuwerfen, aber sie konnte sich gerade noch an der Hauswand festhalten.

Der Sturm würde noch schlimmer werden und es war besser, wenn er den Jungen jetzt fand. Er hatte so eine Ahnung wo er war.

„Wartet nicht auf mich. Wenn ich ihn habe, melde ich mich sobald ich Netz habe.“ Er rief die Worte, war sich aber nicht sicher, ob Orla ihn verstanden hatte.

Er wollte schon gehen, als er noch einmal an die Polizei dachte. Widerwillig ging er noch einmal zu Orla. Sie schaute ihn herausfordernd an. 

„Ich will nicht, dass ihr die Polizei ruft, damit wir so ein Projekt nochmal wieder machen können. Vielleicht nicht mit dem Idioten da drinnen“, und auch nicht mit dir, fügte er in Gedanken hinzu, denn du wirst nicht mehr da sein, „aber vielleicht allein. Und wenn jemand mitbekommt, dass einer von den Jugendlichen von der Polizei gesucht wurde, dann können wir das gleich vergessen. Verstanden?“

Der Wind war so laut, dass er seine eigenen Worte kaum verstand und er hoffte, dass zumindest Orla sie gehört hatte.

Ohne ihre Antwort abzuwarten wandte er sich ab und ging davon. Er schaute nicht zurück. Es hatte ja sowieso keinen Sinn.

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2 Gedanken zu „Meet me in Ireland – Kapitel 18“

  1. Ulrike Schmidt

    Hallo Julia,
    Deine Romane sind so schön,ich bin immer so bin und weg.
    Danke dafür🤗
    Bin schon sehr gespannt wie es weitergeht.
    Liebe Grüsse
    Ulrike

  2. Ulrike Schmidt

    Liebe Julia
    Vielen Dank für die schönen Stunden,die Du mir mit Deinen Geschichten schenkst.
    Es macht soviel Freude Sie zu lesen.
    Ich freue mich schon auf weitere Geschichten von Dir😀

    Liebe Grüsse
    Ulrike

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